Zahlreiche Organisationen fordern als Antwort auf den Klimawandel eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der Wirtschaft. Unter dem Namen System Change not Climate Change machen Aktivisten für den Klimaschutz mobil.
Frühjahr 2015: Einige Monate vor dem entscheidenden Klimagipfel in Paris beginnen zivilgesellschaftliche Organisationen sich zu formieren, um für mehr Klimagerechtigkeit einzutreten. Ihre Botschaft: Beim Klimawandel handelt es sich um kein abgetrenntes Umweltproblem, sondern um eine Krise, die eng mit der Wirtschaft und unserer Lebensweise zusammenhängt. Federführend bei der Gründung von „System Change not Climate Change“ (SCnCC) war Attac, eine Bewegung, die sich für eine demokratische und sozial gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft einsetzt.
Wirtschaft neu denken „Über 120 Vereine, Organisationen und Initiativen unterstützen bisher unser Positionspapier“, sagt Manuel Grebenjak, Sprecher von ScnCC. Gefordert werden verbindliche Zielsetzungen, um die Erderwärmung auf höchstens 2 °C zu beschränken, ein schneller Umstieg von fossilen zu erneuerbaren Energiequellen, regionale Wirtschaftskreisläufe sowie eine umweltschonende Mobilität. Maßnahmen der sogenannten „Green Economy“, die dem gegenwärtigen Wirtschaftssystem lediglich einen grünen Anstrich verpasst, sollen entlarvt und eingedämmt werden. „Es wird nicht ausreichen, emissionsfreie Joghurts zu konsumieren, Elektroautos zu fahren oder gar klimaneutral zu fliegen“, ist auch Magdalena Heuwieser überzeugt. Sie ist beim Verein Finance & Trade Watch (FT Watch) für die Themen Klimapolitik, Green Economy sowie Ernährungssouveränität verantwortlich. FT Watch war an der Gründung von ScnCC maßgeblich beteiligt. Heuwieser kritisiert, dass bei der Klimapolitik ausschlaggebende Faktoren wie Automobilität und Flugverkehr, Privatisierung sowie die Ausbeutung natürlicher Ressourcen viel zu wenig berücksichtigt würden. „Bei den Klimaverhandlungen war von Anfang an klar: Handel und Wirtschaft sollen nicht beeinträchtigt werden.“ Die proklamierte Entkoppelung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum sei ein Trugschluss. „Der sogenannte Rebound-Effekt beschreibt den direkten Zusammenhang zwischen Effizienzsteigerung und zusätzlicher Nachfrage“, ergänzt Heuwieser. So werde etwa die Herstellung ökologischerer Autos durch eine vermehrte Nachfrage wieder wettgemacht.
Österreich hinkt bei Klimazielen hinterher Spätestens seit der COP22, der Klimakonferenz 2016 in Marrakesch, steht fest: Zwischen der Erreichung der Pariser Klimaziele und den Klimaschutzplänen der Staaten besteht eine Lücke von 15 bis 17 Mrd. Tonnen CO2, die jährlich zu viel ausgestoßen werden. Das hat das UN-Umweltprogramm UNEP berechnet. „Das Ziel aller Teilnehmerstaaten muss nun sein, die aktuellen Klimaschutzpläne anzupassen“, sagt Adam Pawloff, Klima- und Energiesprecher von Greenpeace Österreich. Auch Österreich ist hier gefragt: Zwar hat Ex-Bundeskanzler Werner Faymann bei der Klimakonferenz 2015 in Paris zugesagt, bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbaren Strom umzusteigen, doch ist Österreichs CO2-Ausstoß weiterhin viel zu hoch. „Die Treibhausgase sind seit 1990 kaum gesunken“, sagt Pawloff. Vom Klimabkommen in Paris weiterhin ausgenommen ist der Flugverkehr – eines der Hauptthemen von ScnCC. Das durch Flüge ausgestoßene CO2 trägt mit rund zwei Prozent zum Klimawandel bei. Selten mitgerechnet werden in Statistiken weitere Flugschadstoffe wie Stickoxide, Rußpartikel und Wasserdampf, welche klimawirksame Kondensstreifen und Zirruswolken verursachen. Insgesamt liegt der Anteil des Luftverkehrs damit schätzungsweise bei fünf Prozent der Auswirkungen klimarelevanter Emissionen.
Ausnahmen für den Flugverkehr Dennoch wurde bei der Generalversammlung der Internationalen Luftfahrtorganisation (International Civil Aviation Organisation, ICAO) im Oktober 2016 uneingeschränktes Wachstum der Luftfahrt und der Emissionen beschlossen, kombiniert mit Offsets (Ausgleichszahlungen). „Die Flugindustrie behauptet also, weiter Treibhausgase emittieren zu dürfen, indem sie andere dafür bezahlt, Wälder zu schützen“, kritisiert Grebenjak. Doch um der Klimakrise entgegenzuwirken, müssen sowohl Wälder geschützt als auch Emissionen eingespart werden. „Es ist gefährlich, das Fliegen als nachhaltig oder CO2-neutral darzustellen“, bestätigt Heuwieser. „Das lenkt von den tatsächlich notwendigen Lösungen ab und ist das beste Beispiel von Greenwashing.“ Die Luftfahrt genießt Vorteile, die dem Klimawandel Vorschub leisten: Kerosin ist weltweit als einziger Treibstoff von einer Steuer befreit und auch Flughäfen sind von der Grundsteuer befreit. Auf internationale Flüge fällt zudem keine Mehrwertsteuer an. Umweltverbände fordern schon lange die Abschaffung der Privilegien der Luftfahrt und die Einführung einer Kerosinsteuer. Erst kürzlich wurde im Nationalrat eine Halbierung der Flugabgabe beschlossen – die einzige relevante Steuer für den Flugverkehr in Österreich. „Durch die Halbierung entgehen Österreich mehr als 50 Millionen Euro an Steuereinnahmen jährlich“, kritisiert Grebenjak. „Dieses Geld hätte man in Förderungen für nachhaltige und leistbare Mobilität, erneuerbare Energien und Energieeffizienzmaßnahmen investieren können.“
Aktionen für den Klimaschutz Folgerichtig war System Change am Protest gegen die geplante 3. Flughafenpiste in Wien Schwechat maßgeblich beteiligt. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht dem Ausbau eine Absage erteilt, doch ist das noch lange nicht das Ende der Geschichte: „Der Flughafen und das Land Niederösterreich haben Beschwerde gegen das Urteil eingelegt, die Wirtschaft stellt sich ebenfalls dagegen“, weiß Grebenjak. ScnCC fordert stattdessen Maßnahmen wie die Verlagerung von Kurz- und Mittelstreckenflügen auf die Bahn oder die Ausweitung von Videokonferenzen statt Geschäftsreisen. System Change ist eine österreichische Bewegung, doch weltweit vernetzt. Im Mai 2016 schlossen sich österreichische Aktivisten der Blockade eines Braunkohlekraftwerks im deutschen Brandenburg an. Die Aktion „Ende Gelände“ war Teil der internationalen Aktionswelle „Break Free from Fossil Fuels“. Jährlich wird zum Climate March aufgerufen, der in diesem Jahr weltweit am 29. April, am 100. Amtstag des US-Präsidenten Donald Trump stattfand. Auch beim Protest gegen das geplante Murkraftwerk in Graz sind Aktivisten von ScnCC beteiligt. „Bei diesem Projekt, das den Lebensraum vieler Tiere zerstört, geht es in erster Linie um Investitionen für Baufirmen“, kritisiert Grebenjak. „Es ist eine Tatsache, dass der Strom, den das Kraftwerk erzeugt, vorrangig exportiert werden wird.“ Und auch hier wieder geht es um die „Green Economy“, die vorgibt, die Umwelt zu schützen, tatsächlich aber im Interesse von Wirtschaftstreibenden handelt. „Statt in ein neues Kraftwerk zu investieren, könnte man auch Solarkraft fördern oder Häuser dämmen, um Energien einzusparen“, schlägt Grebenjak vor. Klimapolitik muss gleichzeitig auch Friedenspolitik sein, so das Credo von System Change.