Eine Wanderung durch das Dorfertal inmitten des Nationalparks Hohe Tauern zeigt großartige Landschaften und unberührte Natur.
Mit Emanuel Egger, dem dienstältesten Ranger des Nationalparks, bin ich im Osttiroler Dorfertal unterwegs. Der Weg beginnt entlang der mächtigen Dabaklamm, bevor er sich in das weitläufige Tal öffnet. Emanuel hält mich mit Anekdoten über Murmeltiere und Gemsen bei Laune, die er mit seinem Fernglas vor die Liste holt. So erfahre ich vom Murmeltier, das nach achtmonatigem Winterschlaf aus seiner Höhle torkelt und sich sofort auf Futtersuche begibt. Prompt hören wir das berühmte „Pfeifen“ des Murmeltiers, das für mich eher wie ein lautes Zwitschern klingt. Auf diese Weise warnen Murmeltiere ihre Artgenossen vor Feinden wie dem Steinadler. Auch der Bartgeier, der größte Vogel der Alpen und Aasfresser, lebt im Nationalpark, er gilt als „Müllabfuhr“ der Alpen.
Der Nationalpark Hohe Tauern erstreckt sich über die Bundesländer Tirol, Kärnten und Salzburg und enthält alle bedeutenden alpinen Ökosysteme. Mehr als ein Drittel der in Österreich nachgewiesenen Pflanzenarten kommen im Nationalpark vor; bei den Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Amphibien sind es um die 50 Prozent. Auch jenen Tieren, welche zu Beginn des 19. Jahrhunderts in fast ganz Europa ausgerottet waren, bietet der Nationalpark nunmehr einen gesicherten Lebensraum. Neben dem seltenen Bartgeier leben hier auch Steinadler und Gänsegeier sowie Steinböcke mit ihren riesigen Hörnern. Der Nationalpark steht unter strengem Naturschutz: Dreiviertel der Fläche sind von wirtschaftlicher Nutzung ausgeschlossen.
Auf unserer Wanderung erzählt Emanuel mir auch die Geschichte des Dorfertals bei Kals: Zu Beginn der 70 er Jahre wäre es beinahe überflutet worden – wäre es nach Plänen der Energiewirtschaft gegangen, die einen Staudamm am Beginn des Tals vorsahen. Doch die Verantwortlichen hatten nicht mit dem Widerstand aus der Bevölkerung gerechnet – allen voran eine Gruppe von Frauen rund um die Bäurin Mariannne Gratz. Sie gingen als „Kalser Frauen“ in die Geschichte ein, und ihr Widerstand hatte Erfolg: Der Staudamm wurde nicht gebaut. Später am Abend treffe ich die heute 80 jährige Anna Unterberger, die damals mit den Kalser Frauen auf die Barrikaden ging. Sie erzählt mir, wie sie und ihre Mitstreiterinnen mit dem damaligen Landeshauptmann diskutierten und mit Journalisten durchs Tal wanderten, um ihnen die Schönheit der Landschaft näher zu bringen. Und wie die Frauen die Arbeiter und Gastwirte gegen sich aufbrachten. „Einmal bin ich bei einem Wirten nicht bedient worden“, erzählt Anna. „Unsere Männer haben uns aber in unserem Widerstand unterstützt.“ Den unbeugsamen Frauen ist es zu verdanken, dass uns diese wunderschöne Landschaft erhalten blieb.
Endpunkt unserer Wanderung ist der Dorfersee, der malerisch vor uns liegt. Auf dem Rückweg, als wir durch die Reste eines Felssturzes stapfen, gerät Emanuel angesichts dieses Kraftplatzes ins Schwärmen („Ich bin ja kein Esoteriker, aber..“). In diesem Moment segelt ein Bartgeier, den man nicht so oft zu Gesicht bekommt, hoch über uns hinweg.
(c)Susanne Wolf