Ich stehe an einem dieser typischen Wiener Würstelstände, irgendwo am Gürtel, und beiße genüsslich in meine Bratwurst – mit Senf, Ketchup und Gurkerl. Hoffentlich hat mich niemand gesehen, schießt es mir durch den Kopf, und ein Hauch von schlechtem Gewissen streift mich. Als Verfechterin eines nachhaltigen Lebensstils habe ich bereits vor einigen Jahren aufgehört, Fleisch zu essen – oder zumindest beinahe. Die ersten 45 Jahre meines Lebens hatte ich mit Leidenschaft Schnitzel, Burger und Leberkäse verspeist. Meine Mutter erzählt vor versammelter Familie gerne, dass meine Leibspeise als Kind Extrawurstsemmel war.
Erst als ich begann, mich näher mit den Auswirkungen unseres exzessiven Fleischkonsums zu befassen, verging mir zusehends der Appetit darauf. Ich reduzierte die Fleischspeisen und verzichtete irgendwann ganz darauf. Doch diesen Verzicht konsequent umzusetzen, war und ist nicht immer einfach. Denn dem Rest meiner Familie fällt es schwer, völlig auf Fleischprodukte zu verzichten , auch wenn sie den Fleischkonsum reduziert hat. So kommt es vor, dass mir beim Öffnen des Kühlschranks der Duft von frischer Salami in die Nase steigt und es mich große Beherrschung kostet, mir nicht einfach eine Scheibe in den Mund zu stecken. Hin und wieder passiert es dann eben doch, dass ich schwach werde – siehe oben.
Apropos schlechtes Gewissen: Das Reisen zählt zu meinen großen Leidenschaften. Leider ist mir nur allzu bewusst, welche Auswirkungen das auf das Klima hat – also habe ich das Fliegen reduziert, vermeide Kurzstreckenflüge und fahre leidenschaftlich gerne Bahn. Wenn ich Geld übrig habe, kompensiere ich den CO2-Ausstoß meiner Flüge über Programme wie atmosfair und träume davon, irgendwann mehr Zeit für ausgedehnte Fahrten über Land zu haben. Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Reisen den Horizont erweitert und Toleranz für fremde Kulturen fördert – und damit meine ich nicht den Urlaub im All Inklusive-Resort am anderen Ende der Welt.
Zu diesem Verhalten zu stehen, ist jedoch nicht immer einfach. Das mag damit zusammenhängen, dass es üblich geworden ist, mit dem Finger auf andere zu zeigen, die vermeintliche Schwächen zeigen oder einfach eine andere Meinung als die eigene vertreten. Die Welt wird dabei zunehmend in Gut und Böse aufgeteilt. Das sieht dann – vor allem in sozialen Medien – so aus: Vegetarier gegen Fleischesser, Bio-Anhänger gegen Bio-Skeptiker, alle gegen Veganer. Da nützt es auch nichts, im allgemeinen eine nachhaltig denkende und politisch engagierte Bürgerin und Konsumentin zu sein – der kleinste (vermeintliche) Fehltritt und das gute Image ist dahin.
Wenn wir ein Stück weiterdenken, wird klar, dass wir alle Marionetten in einem großen Puppenspiel namens Konsumenten-Verhöhnung sind. Denn wenn alle Produkte auf eine Weise produziert würden, die Rücksicht auf Natur und Tiere nimmt, wenn klimaschädliche Aktivitäten wie das Fliegen besteuert würden, hätten wir keinen Grund mehr, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Dann würden wir von mächtigen Wirtschaftsbossen nicht mehr gegeneinander ausgespielt werden. Alles Fleisch käme von artgerecht gehaltenen Kühen und Schweinen und wir würden es, so wie früher, wertschätzen und nicht täglich essen. Wir würden das Fliegen automatisch reduzieren, weil wir es uns schlichtweg nicht mehr leisten könnten, übers Wochenende nach Paris zu fliegen – und es gäbe attraktive und günstige Alternativen.
Und wir spielen dieses Spiel in so vielen Bereichen: Autofahrer werden gegen Radfahrer ausgespielt, die Frage, ob Fleischersatz aus Soja wirklich notwendig ist oder ob wir es noch verantworten können, Kinder in diese Welt zu setzen, gerät zur Schlammschlacht.
Hören wir auf damit, unsere Energie mit diesem Machtkampf zu verschwenden und bleiben wir lieber bei uns, konzentrieren wir uns darauf, wo wir selbst einen Unterschied machen können. Oder, noch besser: tun wir uns mit Gleichgesinnten zusammen, um gemeinsam die Welt zu gestalten, in der wir leben möchten.