Die Wühlmäuse waren wieder da. Ihr Opfer: die Zitronenmelisse. Bio-Bauer Stefan hat bereits alles probiert: Schafwolle, ätherischer Fichtenduft, eine Stange für Greifvögel – die sich wiederum die Wühlmäuse schnappen sollen. Es sind besonders hartnäckige Wühlmäuse. Da in der Bio-Landwirtschaft chemische Mittel gegen Schädlinge verboten sind, kommt nun der nächste Trick: Tonkugeln werden in die Erde gemischt, an denen sich die Nagetiere die Zähne ausbeißen sollen. Oder besser den Zahn: Wühlmäuse haben einen einzigen, langen Zahn, mit dem sie kräftig zubeißen können. Ich helfe Stefan dabei, die Tonkugeln in die Erde zu mischen.
Nachhaltig und sozial
Es ist mein zweiter Tag als Wwooferin am Lebensgut Miteinander , ich kann gegen Mithilfe am Hof kostenlos hier wohnen. Wir Wwoofer und Praktikanten sind in einem Nebengebäude des Lebensguts untergebracht: Gemeinschaftsküche, WC am Gang, eine Dusche für alle – ich fühle mich an meine Studentenzeit erinnert. Stefan führt mich in die Gemeinschaft ein, beim Mittagessen lerne ich die restlichen Bewohner des Lebensgutes kennen. Da ist Mitgründer Peter mit seiner Frau Sandra, Bio-Bauer Simon, Student Markus, die Kinderbetreuerin Gabriela. Am Lebensgut gibt es eine eigene Kindergruppe, die bei den Menschen in der Umgebung sehr beliebt ist. „Uns war wichtig, auch einen sozialen Aspekt ins Lebensgut zu bringen“, erklärt Sandra. Ein weiteres Anliegen ist es den Gründern, einen Raum für kleinteilige Bio-Landwirtschaft zu bieten. Das Unternehmen Pflanzner Naturkosmetik ist Teil des Lebensguts, Stefan und seine Frau Anna haben hier ein Stuck Grund für ihre Wildkräuter gepachtet.
Auf Tuchfühlung mit den Regenwürmern
Am nächsten Morgen wecken mich die Esel mit einem Geschrei, das nach eingerostetem Husten klingt, gleich darauf höre ich vor dem Fenster Kinderstimmen. Der Tag beginnt früh am Lebensgut. Draußen vor der Türe wartet Hütehündin Coco auf Streicheleinheiten. Wenig später stehe ich im Kräutergarten, wo Stefan mich in die Kunst des Unkraut jätens einführt. Das Oregano-Feld ist mit Gräsern überwuchert, die kleinen Oregano-Pflänzchen verschwinden beinahe darunter. Ich mache mich mit Handschuhen und einer Harke an die Arbeit und merke bald: das Wühlen in der Erde hat etwas Beruhigendes. Ich scheuche ein paar Regenwürmer auf und Stefan erklärt mir, dass dies ein gutes Zeichen dafür sei, dass die Erde gesund ist. Auch Ameisen laufen mir über den Weg. „Ameisen lieben Oregano“, so die Erklärung. Stefan erzählt mir, dass er in seiner Jugend sehr rebellisch gewesen sei. „Bis ich mich dazu entschlossen habe, mich lieber für etwas einzusetzen und mich nach einer Ausbildung zum Chemiker für die Bio-Landwirtschaft entschieden habe.“
Altes Wissen neu aufbereitet
In ihrem Kräutergarten bauen Stefan und Anna neben Zitronenmelisse, Thymian oder Schokominze auch Ringelblumen und Baldrian an. Ihr Anliegen: Das Wissen um die heilsame Wirkung von Pflanzen und Kräutern wieder ins Bewusstsein der Menschen zu bringen. Die gesamte Herstellung vom Anbau der Pflanzen bis zur Produktion wird in Eigenregie betrieben, nach dem Grundsatz „Nachvollziehbar von der Pflanze bis zum Tiegel“. Das ist in der Naturkosmetik-Branche selten: „Pflanzner ist eines der wenigen Unternehmen, das ausschließlich naturreine Stoffe verwendet, ohne synthetische Zwischenschritte“, erklärt Anna stolz. „Unser Ziel ist, zu 100 Prozent regional und Bio zu produzieren“, ergänzt Stefan. Nach getaner Arbeit mache ich einen Spaziergang über das Gelände des Lebensguts. Vorbei am Schwimmteich in den Wald, wo ich mich auf einen Baumstumpf setze. Ich atme tief die Waldluft ein und stelle fest, dass die Tage sich am Lebensgut anders anfühlen als in der Stadt. Langsamer, entspannter.
Die Zeit steht still
Am letzten Tag sind Stefan und ich zum Kochen eingeteilt, es gibt Pizza. Für 22 Personen in einer Großküche zu kochen ist eine Premiere für mich, zum Glück hat Stefan damit Erfahrung. Ein Blick in die Kühlkammer zeigt, dass noch Suppe von gestern da ist und ich werde beauftragt, Salat und Mangold vom Feld zu holen. Wir belegen Annas Pizzateig mit Gemüse und Käse. Nach dem Essen helfe ich Anna beim Einpacken der Naturseifen: Mit Hilfe ihrer Mutter hat sie kleine Papiertaschen angefertigt, deren Ränder liebevoll zugenäht wurden. „Wir wollen wegkommen von der Schnelllebigkeit von Produkten, die keinen Wert mehr haben“, sagt Anna. Dafür ist hier genau der richtige Ort: Im Lagerraum duftet es nach Orangen und Lavendel, die Zeit scheint still zu stehen.
Am Abend sitze ich mit einigen anderen am Lagerfeuer. Simon hat seine Gitarre dabei und beginnt zu singen, Coco liegt zu seinen Füßen. Ein paar andere stimmen ein. Ich starre ins Feuer, summe die Melodie mit, Raum und Zeit verschwimmen. Jemand übernimmt mit seiner Gitarre, führt die Melodie fort. Morgen werde ich in mein altes Leben in die Stadt zurückkehren. Ich lege den Kopf zurück und schaue in den prachtvollen Sternenhimmel, der Große Wagen direkt über uns.