Die letzen Urwälder Europas sind duch Abholzung bedroht. Greenpeace setzt sich für den Schutz der rumänischen Wälder ein.
„Die Tanne erkennt man an ihrer glatten Rinde.“ Zehn Augenpaare sind auf einen prachtvollen Baum gerichtet, dessen Krone nur mit weit zurückgelegtem Kopf zu erkennen ist. Gesche Jürgens, Waldkampaignerin bei Greenpeace Deutschland, führt das Team aus Freiwilligen tief in den Urwald hinein. Das Gelände, das vermessen wird, ist steil, der Waldboden mit einer dichten Laubschicht bedeckt. Herumliegende Zweige und Äste erschweren das Weiterkommen zusätzlich. Doch alle machen sich unverdrossen an die Arbeit.
Freiwillige vor Rund 30 Freiwillige aus zehn Ländern, darunter Österreich, Rumänien, Niederlande und Finnland, haben am Rande des Vidraru Sees im rumänischen Făgăraș-Gebirge ein Camp aufgebaut. Ihre Mission: Die fortschreitende Abholzung der verbliebenen Urwälder Europas zu dokumentieren und Bestände zu vermessen. Untersuchungen von Greenpeace zeigen, dass rund 100 Fälle von illegalem Einschlag pro Tag registriert werden. In den letzten Jahren verschwand auf diese Weise rund eine Million Kubikmeter Holz aus den Wäldern, die Dunkelziffer könnte noch höher liegen.
„Unter Urwald versteht man ein naturbelassenes Waldgebiet, in dem es keine Eingriffe von Forstwirtschaft gibt“, erklärt Gesche Jürgens. Die Waldexpertin hat an diesem Morgen die Aktivisten in Teams eingeteilt: eine Gruppe ist im Wald unterwegs, um die Bäume zu vermessen. Eine weitere sammelt den Plastikmüll ein, der von Forstarbeitern zurückgelassen wurde. Ein drittes Team ist für die Kartierung der bereits vermessenen Bäume zuständig. Die Greenpeace-Aktivisten schlafen in Zelten und treffen sich zum Frühstück an Holztischen, die nur von einer Plane überdacht sind. „Die Stimmung im Camp ist super“, sagt Sebastian, ein österreichischer Freiwilliger, der wie die meisten hier seinen Nachnamen nicht nennen will. Der Ökologie-Student und Greenpeace-Praktikant ist Teil des GIS-Teams, das für die Kartierung der Bäume verantwortlich ist.
Stress lass nach Ich lerne Aktivisten wie Max, Nika oder Luca kennen, die aus allen Teilen Europas angereist sind, um mitzuhelfen – die aber lieber im Hintergrund bleiben, als im Rampenlicht zu stehen. „Wir sind keine Helden, sondern tun nur unsere Arbeit“, ist der Grundtenor im Camp. „Ich mache bei Greenpeace mit, weil hier viele engagierte Leute sind, die wirklich etwas bewegen können“, erklärt Sebastian. Ich begreife, was es bedeutet, von morgens bis abends in der Natur und mit ihr verbunden zu sein; verstehe, warum Menschen Urlaub von ihrem Job nehmen, um unbezahlte Umweltarbeit zu machen. Bereits der erste Tag im Wald verfehlt seine Wirkung nicht: je länger ich mich unter den Bäumen aufhalte, durch die knöchelhohe Laubschicht streife, desto ruhiger werde ich. Der Stress der letzten Tage fällt mit jedem Schritt von mir ab. Am Ende des Tages habe ich vergessen, wieviel Arbeit zuhause auf mich wartet und ich beginne, mich mit der Tatsache anzufreunden, dass das WLAN in meinem Hotel nicht funktioniert. Mein Respekt vor diesen Menschen, die kalte Nächte im Zelt verbringen und auch noch beim ergiebigsten Regen draußen unterwegs sind, um ihre Arbeit zu machen, wächst von Tag zu Tag.
„Viele Wälder könnten weit mehr CO2 aufnehmen, wenn sie richtig bewirtschaftet würden.“
Die rumänische Umweltministerin Cristiana Pasca-Palmer führte im Juli dieses Jahres ein Register ein, in dem alle Urwälder aufgenommen werden sollen, und setzte damit eine langjährige Forderung von Greenpeace um. Die Öffentlichkeit und NGOs sind aufgerufen, Wälder zu melden, die sich für die Aufnahme eignen. „Urwälder sind nicht nur wichtig für den Klimaschutz und die darin lebende Artenvielfalt, sondern dienen auch als Lernfläche für die Waldbewirtschaftung“, erklärt Gesche Jürgens. „Die Forstwirtschaft denkt, sie ist schlauer als die Natur, aber in Wahrheit können wir sehr viel von ursprünglichen Wäldern lernen.“ Eine wirklich nachhaltige Nutzung des Waldes bedeute, darauf zu achten, was der Wald verkraftet. „Die Vermessung der Bäume ist zum einen notwendig für das Urwald-Register der Regierung, soll aber auch aufzeigen, wie viel CO2 jeder Baum aufnehmen kann“, erklärt Jürgens. Die Waldexpertin nennt drei Hauptanliegen von Greenpeace: die Entwaldung zu verhindern, den ökologischen Zustand des Waldes zu verbessern und Wiederbewaldung dort zu fördern, wo es aus ökologischer Sicht Sinn macht. „Viele Wälder könnten weit mehr CO2 aufnehmen, wenn sie richtig bewirtschaftet würden.“ Beraten werden die Greenpeace-Aktivisten von Waldexperten wie Iovu Biris, der die Inventarisierung der rumänischen Urwälder im Jahr 2005 leitete.
„Ich brauche das Geld nicht“ Die Gruppe, die an diesem Tag für die Vermessung der Bäume zuständig ist, hat Messgeräte, auch Kluppen genannt, dabei. Je zwei Personen arbeiten zusammen, um den Durchmesser des Stammes und die Baumhöhe zu messen. Vladimir ist für das Höhenmessgerät verantwortlich, das per Laserstrahl die Höhe eines Baumes anzeigt. Max trägt die Daten in eine Liste ein. Die meisten Freiwilligen sind zwischen 20 und 30, darunter viele Studenten. Robert dagegen ist ein alter Greenpeace-Haudegen, der seit 23 Jahren an Aktionen teilnimmt: „Ich war schon dabei, als Aktivisten sich an Bäume ketteten.“ Der Holländer hat keinen fixen Job und steht jederzeit für Kampagnen zur Verfügung. Auf die Frage, wie er sich einige unbezahlte Wochen im Jahr leisten könne, antwortet er knapp: „Ich brauche das Geld nicht.“ Immerhin bekommen Greenpeace-Freiwillige die Reisekosten ersetzt, Unterkunft und Verpflegung wird zur Verfügung gestellt. „Das ist besser als bei manchen Organisationen, die Freiwilligenarbeit anbieten und dafür auch noch Geld verlangen“, meint Gesche jürgens.
„Der Wald ist der Bruder der Rumänen“
„Es gibt in Rumänien ein Sprichwort: ‚Der Wald ist der Bruder der Rumänen’“, sagt Marina Barbalata, Kampagnendirektorin von Greenpeace Central and Eastern Europe. Die rasant voranschreitende Abholzung von Wäldern ist in Rumänien ein nationales Thema, das zunehmend auch ins Bewusstsein der Bevölkerung rückt. Korruption und unzureichende Kontrollen haben zu einem groß angelegten Raubbau an den verbliebenen Wäldern geführt. „Ein rumänischer Förster verdient umgerechnet nur 400 Euro im Monat“, erklärt Jürgens. „Da ist die Versuchung, sich etwas dazu zu verdienen, groß.“ Vor kurzem gab es in Bukarest eine Demo für den Schutz der Wälder, an dem 30.000 Menschen teilnahmen. „Neben der Liebe zur Umwelt haben wohl auch nationalistische Tendenzen zum Erfolg der Demo beigetragen“, räumt Barbalata ein. „Große ausländische Konzerne, darunter viele aus Österreich, verdrängen kleine einheimische Sägewerke.“ Das österreichische Holzunternehmen Schweighofer, größter Nadelholzverarbeiter in Rumänien, ist Teil dieser unrühmlichen Entwicklung. Österreich ist laut EUROSTAT international der größte Gesamtabnehmer von Holzwaren aus Rumänien. Greenpeace konzentriert sich in der aktuellen Waldkampagne allerdings nicht auf Unternehmen, sondern auf die rumänische Regierung. „Zur Zeit gibt es eine Übergangsregierung, die für Umweltthemen zugänglich und nicht korrupt ist“, erklärt Nora Holzmann, Pressesprecherin von Greenpeace Österreich. „Das sehen wir als Gelegenheit, eine Basis dafür zu schaffen, dass die Kontrollmechanismen in Rumänien funktionieren und die Behörden ihre Arbeit erledigen. Nur auf dieser Grundlage können auch Unternehmen aus dem Ausland zur Verantwortung gezogen werden.“
Bärenalarm Nach einigen Stunden Waldarbeit ist es Zeit für eine Pause und die mitgebrachten Lunchpakete werden ausgepackt. Einige Aktivisten unterhalten sich, der Rest streckt sich auf dem Waldboden aus. Doch schon nach kurzer Zeit geht es weiter, Gesche Jürgens gibt den weiteren Plan vor. Am Ende des Tages teilt sich die Gruppe auf: Einige gehen zurück, um das Auto zu holen, die anderen klettern den Hang abwärts, um zurück zur Straße zu kommen, wo der Fahrer warten wird. Die Aktivisten haben die Anweisung, den Wald nicht alleine zu durchqueren, da die Chance, einem Bären zu begegnen, beträchtlich ist: Die Wälder in den Karpaten sind Heimat der größten Braunbär-Population Europas. Und tatsächlich deutet Gesche Jürgens der Gruppe, stehen zu bleiben: Sie glaubt, das Brummen eines Bären gehört zu haben. Robert erinnert die Anderen daran, Lärm zu machen, um den Bären zu vertreiben und alle beginnen zu pfeifen oder in die Hände zu klatschen. Später stellt sich heraus, dass es falscher Alarm war – doch eine andere Gruppe von Aktivisten erzählt am Abend begeistert, dass sie vom Auto aus einen ausgewachsenen Braunbären gesehen hätten. Abends versammeln sich die Umweltschützer um ein Lagerfeuer, um den Tag ausklingen zu lassen. Zwei neu angekommene Aktivisten werden eingeladen, sich dazu zu setzen. Es wird geplaudert und gelacht, Energien für den nächsten Tag getankt. Für einen weiteren Tag, der im Zeichen der Umwelt steht.