Menschen mit Down Syndrom (auch: Trisomie 21) sind ein seltener Anblick – neun von zehn Babies mit diesem Geneffekt werden abgetrieben.
Selbstvergessen und lustvoll bewegen sich die Tänzer der I Dance Company durch den Raum, “Light my fire” von den Doors tönt aus den Lautsprechern. Sinah erzählt unvermittelt, dass sie 1991 geboren ist. Matthias will mir ein Foto auf seinem Handy zeigen, legt mir dabei wie selbstverständlich den Arm um die Schultern. Sinah legt ein Step-Solo aufs Parkett, das sich gewaschen hat. All diese Menschen, die sich hier wöchentlich zum Tanzen treffen, haben eines gemeinsam: ein Chromosom zu viel.
Menschen mit Down Syndrom (auch: Trisomie 21) haben mich immer schon fasziniert und neugierig gemacht. In einer Reportage las ich über den Verein „Adoption Awareness Programm“ in den USA, der Kinder mit DS zur Adoption vermittelt – und von Wartelisten, da diese Kinder als besonders liebevoll gelten. Auf Bildern sah ich Menschen, die freundlich in die Kamera lachen. Meine Suche führt mich zur I Dance Company und ihrer Leiterin Beata Vavken, ehemalige Staatsoperntänzerin. „Die Gebefreudigkeit und Natürlichkeit ist bei diesen Menschen um ein Vielfaches größer. Sie sind auf unnachahmliche Weise authentisch“, schwärmt Vavken von ihren Tänzern.
„Ausschlaggebend ist, wie viel man diesen Menschen von Anfang an zutraut“
Wenn ich nun diesen Menschen zusehe, ihre Offenheit und Zärtlichkeit wahrnehme oder mir ihre Geschichten anhöre, frage ich mich: wie kann es sein, dass so viele Menschen sich bewusst gegen ein Kind mit Down Syndrom entscheiden? Bereits 9 von 10 Babies mit diesem Gendefekt werden abgetrieben, ein Bluttest macht die Diagnose noch einfacher. Beratungen für betroffene Schwangere gibt es jedoch viel zu wenig. Abgetrieben darf laut Eugenischer Indikation bis zum 9. Schwangerschaftsmonat werden – das ist laut Gesetzbuch dann der Fall, wenn eine ernste Gefahr besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt sein wird. Ab der 24. Schwangerschaftswoche ist das Kind lebensfähig. Wenn danach ein Schwangerschaftsabbruch erfolgt, muss der Arzt das Kind im Mutterleib töten, meist mit einer Lösung, die dem Kind ins Herz gespritzt wird, erfahre ich von Mag. Edeltraud Voill vom Verein Prenet. Auf meiner Suche nach Antworten hilft mir Dr. Bettina Baltacis von der Down Syndrom Ambulanz in Wien: „Ausschlaggebend ist, wie viel man diesen Menschen von Anfang an zutraut, welche Therapien man ihnen anbietet“, erklärt sie mir. Und dass gezielte Förderung und die selbstverständliche Integration in den Alltag bei der Entwicklung helfen. Körperliche Beeinträchtigungen wie Herzfehler oder Probleme mit der Wirbelsäule treten bei Menschen mit DS vermehrt auf, lassen sich jedoch laut Baltacis gut behandeln.
„Es ist eine Aufgabe, die dir das Leben stellt“
Immer wieder werde ich bei Diskussionen gefragt: wie ich reagieren würde, wenn sich in der Schwangerschaft eine Behinderung des Ungeborenen herausstellen sollte. Meine Antwort darauf: Ich habe bei meinen Kindern bewusst jeden vorgeburtlichen Test abgelehnt. Bei meiner zweiten Schwangerschaft war ich bereits 36 Jahre alt und mir war klar, dass das Risiko, ein behindertes Kind zu gebären, mit zunehmendem Alter steigt. Mein Arzt empfohl mir zwar einen Test, respektierte jedoch meine Entscheidung. Ich denke, dass das ein gewisses Grundvertrauen ins Leben voraussetzt. „Es ist eine Aufgabe, die dir das Leben stellt“, sagen die Eltern von Nicole, einer Tänzerin der I Dance Company. Von Pablo Pineda, dem ersten Europäer mit Trisomie 21, der einen Universitätsabschluss hat, stammt das Zitat: „ So wie der eine blond ist, habe ich eben das Down-Syndrom. Der Drang zur sozialen Homogenisierung ist ein Übel der Gesellschaft: wenn alle gleich denken und gleich aussehen, ist das Faschismus.“ Die Tänzer der I Dance Company haben ihre eigenen Sichtweise dazu: „Es ist nicht fair, dass Menschen wie wir aussterben sollen.“
Meine Reportage über die I Dance Company ist in der Wienerin erschienen.