Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität in Wien, plädiert in ihrem Buch „Vom Wert des Menschen“ für ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Veröffentlicht in Konsument.
Hat die Corona-Krise das Bewusstsein für ein Bedingungsloses Grundeinkommen geschärft?
Das klassische Argument, dass die Tüchtigen eine Arbeit haben und mit denen, die keine Arbeit haben, sei twas falsch, hält jetzt nicht mehr. Man sieht, dass es jeden treffen kann und das führt bei vielen zum Wunsch nach einer berechenbaren und bedingungslosen Grundsicherung.
Sind wir überhaupt reif für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, macht zu viel Freiheit nicht orientierungslos?
Wahrscheinlich ist keine Gesellschaft wirklich reif dafür, es wäre ein Sprung ins kalte Wasser. Das BGE wäre ein Ermächtigungsinstrument, etwa für Menschen, die in ihre Ausbildung investieren möchten, oder für wichtige Erholungspausen. Wer hat heute noch Ruhe, sich wirklich zu erholen, um wieder gut arbeitsfähig zu sein?
Gibt es Staaten, in denen das BGE bereits erfolgreich umgesetzt wurde?
Ein universelles bedingungsloses Grundeinkommen, also eines für alle Bewohner eines Landes, hat es bisher nicht gegeben.
Manche sehen die Ausschüttungen aus dem Alaska Permanent Fund als Grundeinkommen an (Anm: Alle Bewohner Alaskas bekommen jährlich eine Dividende aus den Gewinnen des Erdöl-Geschäfts ausgezahlt). Der Betrag pro Person und Jahr beträgt derzeit 992 Dollar, das ist also nicht existenzsichernd.
Es gab auch immer wieder Experimente zum BGE für bestimmte Gruppen wie etwa in Finnland, wo 2000 Arbeitslose zwei Jahrelang ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 560 Euro pro Monat erhielten.
Immer mehr Menschen haben trotz Arbeit nicht genug Geld zum Leben, sind prekär beschäftigt oder arbeitslos, während Lebenshaltungskosten und Wohnungspreise steigen. Woran liegt das und könnte ein BGE gegensteuern?
Auf jeden Fall, ein existenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen würde die Armut schlagartig abschaffen. Betonen möchte ich, dass es für die meisten Menschen keine Alternative zu Erwerbsarbeit wäre, sondern dass dadurch die Teilhabe am sozialen Leben gefördert würde. Ein bedingungsloses Grundeinkommen wirkt sozial, kulturell und politisch, es kann Menschen wieder unter die Leute bringen und die Chance erhöhen, dass sie am Arbeitsmarkt Erwerbsarbeit finden. Diese Menschen verstecken sich nicht mehr, weil sie sich durch Arbeitslosigkeit gedemütigt fühlen. Ein weiteres Ziel des BGEs ist eine Verteilung von Vermögen und Einkommen.
Befürworter eines BGE argumentieren, dass durch Digitalisierung und Automatisierung der Arbeit in Zukunft nicht mehr genug Jobs für alle da sein werden. Wie sehen Sie das?
Meine Forschungsgruppe an der Uni Wien hat die Debatte zur Zukunft der Arbeit systematisch untersucht. Die typische Argumentationslinie lautet so:
Roboter nehmen uns die Arbeitsplätze weg, deshalb müssen wir entweder die Maschinen besteuern oder den Menschen dabei helfen, am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Geschichte hat zwei Fehler:
1. Es sind natürlich nicht nur die Roboter, die das Problem verursacht haben. Unsere Regelwerke haben es ermöglicht, dass viele Menschen aufgrund steigender Wohnungs- und Lebenshaltungskosten und stagnierender Löhne selbst von Vollzeitarbeit nicht mehr leben können.
2. Ein Problem, das von uns allen geschaffen wurde, muss von einzelnen Menschen gelöst werden, die dafür verantwortlich gemacht werden, am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre darauf zumindest zum Teil eine Antwort. Es würde nicht alle Probleme des Arbeitsmarktes lösen, aber bestimmte Dinge abfedern.
In unserer Gesellschaft ist nur Arbeit außer Haus etwas wert, unbezahlte Arbeit wie Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen dagegen nicht. Woran liegt das?
Der Arbeitsbegriff hat sich in den letzten Jahrhunderten gewandelt: Früher gab es vor allem Landwirtschaft oder Handwerksbetriebe im Haus, man lebte und arbeitete in einem Haus. Durch die industrielle Revolution kam es zur Urbanisierung und zur Trennung von Wohn- und Arbeitsraum. Die Erwerbsarbeit, für die man bezahlt wird, fand nun außer Haus statt.
Es handelt sich dabei um ein männliches Modell: Davor war die Hausfrau noch ein aktiver Beruf, die Frau hat die Hauswirtschaft geleitet. Heute ist daraus eine passive Funktion geworden, die Tätigkeiten der Hausfrau werden nicht als „Arbeit“ gesehen – das ist eine massive Abwertung der reproduktiven Arbeit.
Es gibt dieses Vorurteil, dass ein BGE die Menschen faul machen oder ihre Fauhlheit verstärken würde. Ihre Meinung dazu?
Ich bin grundsätzlich vorsichtig mit Diagnosen, zu denen ich keine soliden Daten habe, aber hier bin ich zuversichtlich, dass das nicht eintreten wird.
Natürlich gibt es einen bestimmten Anteil von Menschen, die weder an Erwerbsarbeit oder anderen Formen von Arbeit teilhaben, aber der ist sehr gering. Experimente in unterschiedlichen Erdteilen haben gezeigt, dass bedingungslose Geldzahlungen die Teilnahme an der Erwerbsarbeit nicht wesentlich reduzieren. Wenn der Anteil hinunter geht, dann oft aus guten Gründen, weil etwa Menschen länger in der Ausbildung bleiben.
Zum Teil hat diese Einschätzung mit einem christlichen Erbe zu tun, das besagt, dass Arbeit eine Strafe und mühselig ist. Dann ist es natürlich eine Provokation, wenn jemand scheinbar fürs Nichtstun Geld bekommt. Für Menschen, die das Privileg einer sinnerfüllenden Arbeit haben, ist die Vorstellung, dass andere Geld bekommen, ohne sich abzuquälen, nicht so schrecklich.
Nun wird ja der Wunsch nach einer sinnerfüllenden Arbeit bei vielen Menschen stärker.
Absolut. Manche Experten sagen: Wir hatten lange Zeit eine Informationsrevolution, jetzt kommt die Sinnrevolution. Wir sehen es nicht nur bei den White Collar-Berufen (Anm. Bürojobs), dass Menschen nicht nur Geld, sondern auch Sinn im Beruf haben wollen, sondern auch in den Blue Collar Jobs (Anm. Arbeiterjobs). Dieser Wunsch nach einer sinnstiftenden Arbeit gibt dem BGE Aufwind, weil immer mehr Menschen die Freiheit haben wollen, das zu tun, was sie als sinnvoll erachten, ohne Druck.
Und wer erledigt künftig die unbequemen Jobs, die zum Funktionieren einer Gesellschaft aber unerlässlich sind?
Mit einem BGE würde wohl niemand mehr Arbeit machen wollen, die sowohl schmutzig und demütigend als auch schlecht bezahlt ist. Folglich würde solche Arbeit besser bezahlt, und auch die Arbeitsbedingungen wären besser.
Ist Österreich bereit für ein BGE?
Ja. Was aber nicht heißen soll, dass es keine Probleme gäbe. Eine große Reform kann niemals ohne Schwierigkeiten umgesetzt werden. So ist es gerade in Österreich etwa um die Geschlechtergerechtigkeit nicht gut bestellt und durch die Corona-Krise sind Frauen noch belasteter.
Kritiker meinen nun, ein BGE würde das noch verschlimmern, weil es den Frauen die Rechtfertigung zur Erwerbsarbeit nimmt. Aber in Summe würde ein BGE für Frauen mehr Vorteile als Nachteile bringen, weil besonders Frauen in Österreich von Armut betroffen sind – die Geschlechterungerechtigkeit muss man jedoch auch mit anderen politischen Instrumenten angehen.
Wie hoch könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen in Österreich sein?
Die Armutsgefährdungsschwelle ist ein guter Richtwert, die liegt in Österreich ganz grob bei 1200 Euro pro Erwachsenen.
Was man nicht vergessen darf: Wie hoch das in Geld ausbezahlte BGE sein muss, um existenzsichernd zu sein, hängt auch davon ab, welche Grundbedürfnisse schon über die öffentliche Daseinsvorsorge wie etwa Transport, Bildung, etc. befriedigt sind.
Wie lässt sich ein Grundeinkommen finanzieren?
Dazu muss man sich folgende Fragen anschauen:
Was soll ein BGE bewirken? Soll es die Menschen, die aus dem Arbeitsmarkt fallen, auffangen? Soll es ein emanzipatorisches Transformationsinstrument sein? Meine Antwort ist zweiteres.
Dann müssen wir uns überlegen, wie wir das umsetzen und mit welchen anderen Reformen es begleitet wird. Erst dann wissen wir den zusätzlichen Finanzierungsbedarf. Die meisten in Österreich gut durchdachten Modelle zeigen Kosten von 100 Milliarden Euro pro Jahr.
Das ist eine Menge Geld.
Es gibt zwei Hauptzugänge für den zusätzlichen Finanzierungsbedarf:
1. Götz Werner, DM-Gründer und Verfechter eines BGE sowie der Verein Generation Grundeinkommen schlagen vor: Alle Abgaben auf Arbeit wie die Einkommenssteuer abschaffen; Konsumsteuer als Hauptlast, Erhöhung der Mehrwertsteuer auf 100 Prozent, dazu Erhöhung der Vermögenssteuer, unter Umständen die Einführung anderer Steuern wie einer Erbschaftssteuer
2. Paul Ettl schlägt für Österreich vor: keine Erhöhung der Mehrwehrtsteuer, dafür bleibt die Einkommenssteuer und der Spitzensteuersatz beginnt früher zu wirken. Dazu kommt eine stärkere Besteuerung von Vermögen.
Sie sprechen in Ihrem Buch von einem notwendigen Systemwandel im Zusammenhang mit einem BGE. Wie könnte der aussehen?
Ich sehe es anders herum, davon wird auch mein neues Buch handeln. Eine gerechtere und nachhaltigere Gesellschaft bräuchte sieben Elemente:
Eine nachhaltige Ökonomie; den Ausbau einer öffentlichen Daseinsvorsorge (Infrastruktur und Dienstleistungen, inkl. Pflege); leistbaren Wohnraum für alle; ein Neudenken der Verbindung zwischen Arbeit und Einkommen; die Rolle des Staates neu denken; einen Fokus auf echte Corporate Responsibility, (z.B. Lieferketten, etc).; die Demokratisierung des Geldes. Idealerweise sollte die Einführung des BGE in eine solche größere Reform eingebettet sein.