Produkte, die sich in anderer Form weiterverwenden oder sogar vollkommen kompostieren lassen – Cradle to Cradle macht’s möglich.
Essbare Sitzbezüge, der Natur nachempfundene Häuser und kompostierbare T-Shirts: Von der Wiege zur Wiege – so die wörtliche Übersetzung des Cradle to Cradle-Prinzips – ist ein Konzept, das der deutsche Umweltchemiker Michael Braungart gemeinsam mit dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt hat. Die Idee dahinter: Produkte sollen am Ende ihres Lebens nicht entsorgt werden, sondern von Anfang an so konzipiert sein, dass sie sich in anderer Form weiterverwenden oder sogar vollkommen kompostieren lassen. Dadurch werden Ressourcen gespart und Müll vermieden.
-
Als Beispiel nennt Braungart das Papierrecycling: „Eine herkömmliche Zeitung enthält rund 50 Stoffe, die eine Kompostierung verhindern und beim Recycling giftige Papierschlämme erzeugen.“ Idealerweise müsse eine Zeitung so erzeugt werden, dass sie für die Rückkehr in den natürlichen Kreislauf geeignet ist. Diesem Anspruch wird das niederösterreichische Kommunikationshaus Gugler gerecht: die hauseigene Druckerei wurde als erste Druckerei weltweit Cradle to Cradle-zertifiziert. „Alle Bestandteile und Chemikalien werden auf Nachhaltigkeit überprüft und bewertet“, erklärt Nachhaltigkeitsbeauftragte Verena Aspalter. Es wird ausschließlich mit Substanzen gedruckt, die dem biologischen Kreislauf wieder zugeführt werden können. Die Druckprodukte sind FSC, PEFC oder mit dem EU-Ecolabel zertifiziert, mit dem eigenen Label greenprint bietet Gugler zudem klimapositiven Druck.
„Unser Bausystem ermöglicht eine lückenlose Kreislaufwirtschaft“, Florian Thoma, Thoma Holz GmbH
-
Um sein Konzept in die Welt zu tragen, hat Braungart ein internationales Umweltforschungs- und Beratungsinstitut mit Hauptsitz in Hamburg gegründet, die Braungart EPEA (Environmental Protection Encouragement Agency). Dort tüftelt er an Produkten, die in Kooperation mit Unternehmen nach dem Cradle to Cradle-Prinzip hergestellt werden: Das Trigema Change – Shirt etwa wird in Deutschland aus Biobaumwolle gefertigt und mit Garn aus Biobaumwolle genäht. „Wir verwenden Farbstoffe und Appreturen, die ausnahmslos unschädlich sind und unter Kompostierbedingungen in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können“, erklärt Trigema-Sprecherin Nicole Thomann. Auch die Thoma Holz GmbH arbeitet nach diesen Prinzipien: Beim Thoma Holz 100-Haus werden Kanthölzer und Bretter zu kompakten Bauelementen geschichtet und mit Buchendübeln, ohne Leim und Metallteile, verbunden. „Unser Bausystem ermöglicht eine lückenlose Kreislaufwirtschaft“, erklärt Florian Thoma. „Die Wände können wieder auseinander genommen werden, die Bretter sind wiederverwendbar – und bis zu 500 Jahre haltbar.“ Der Renner unter den Cradle to Cradle-Produkten ist wohl eine von Braungarts eigenen Erfindungen: Ein kompostierbarer Sitzbezug, der in der First Class des Airbus A380 zum Einsatz kommt. Passend zu Braungarts Credo: Abfall sollte Nahrung sein.
Ökoeffiktivät versus Ökoeffizienz
Mit seinen Ideen hat Braungart Bewegung in die Nachhaltigkeitsszene gebracht. Wenn es nach ihm ginge, müssten wir auf nichts mehr verzichten – und trotzdem kein schlechtes ökologisches Gewissen haben. Denn mit dem Begriff der Ökoeffiktivität stellt Braungart das bekannte Konzept der Ökoeffizienz in Frage: Ökoeffektiv sind demnach Produkte, deren Materialien sich entweder für eine gefahrlose und vollständige Rückkehr in die Biosphäre eignen oder qualitativ hochwertig wiedergewonnen werden können: Verbrauchsgüter wie Wasch- oder Spülmittel sollen in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden, Gebrauchsgegenstände wie TV-Geräte in den technischen Kreislauf. Ökoeffizient ist ein Produkt hingegen dann, wenn durch den Verbrauch weniger Ressourcen und die Verminderung von Schadstoffen die Umwelt geschont wird. „Die Ökoeffizienz versucht, weniger schlecht zu sein; die Ökoeffiktivität dagegen stellt die Frage: Was ist das Richtige?“ erklärt Braungart. „Der Unterschied zum herkömmlichen Recycling besteht in der Kompostierbarkeit der Bestandteile“, ergänzt Friedrich Hinterberger, Gründer und Geschäftsführer des Sustainable Europe Research Institute (SERI) in Wien. Die Zertifizierung sieht zudem vor, dass nicht kompostierbares Material zu 65% wiederverwendet werden muss (siehe Infokasten). So besteht der Philips Econova ECO Smart LED-TV aus entsorgten und einfach zu recycelnden Materialien. Für die Rezeptur des C2C-zertifizierten Frosch Citrus Dusche & Bad –Reiniger wurden rund 100 Bestandteile geprüft, um eine Rückkehr in den Naturkreislauf zu ermöglichen. „Die Verpackung wird ausschließlich aus Alt-PET, gewonnen aus Pfandflaschen, hergestellt“, erklärt Geschäftsführer Franz Studener. Die deutsche Werner & Mertz GmbH hat bereits 1986 mit der „Frosch“-Linie eines der ersten nachhaltigen Reinigungsmittel produziert, 2013 wurde auch die Marke green care PROFESSIONAL mit dem Cradle to Cradle Certified Gold Zertifikat ausgezeichnet.
„Wie können wir für andere Lebewesen nützlich sein?“ Michael Braungart
„Man darf die beiden Konzepte Ökoeffizienz und Ökoeffiktivität nicht gegeneinander ausspielen, sondern muss sie komplementär betrachten“, erklärt Friedrich Hinterberger. „Um unsere Umwelt zu entlasten, brauchen wir beides: die Dematerialisierung, also das Einsparen, und die Rematerialisierung, das Wirtschaften in geschlossenen Kreisläufen.“ Hinterberger bezweifelt, dass das Cradle to Cradle-Prinzip auf die gesamte Wirtschaft umsetzbar wäre. „Es gibt Beispiele, bei denen das funktioniert, aber dabei handelt es sich eher um Nischenprodukte.“ Auch die Riesenmengen an Kompost könnten zum Problem werden, solange das Verwertungskonzept noch nicht ausgereift ist. Dennoch wächst die Anhängerschaft des Cradle to Cradle-Prinzips: Arnold Schwarzenegger erklärte Kalifornien in seiner Funktion als Gouverneur zum „Cradle-to-Cradle“-Staat. Die niederländische Provinz Limburg hat sich 2007 zur Modellregion erklärt und entwickelt nun ein innovatives Gewerbegebiet namens GreenPark Venlo. Hier wird die Sonne als Energiequelle genutzt und die Umgebung bei der Wahl der Materialien mit einbezogen. Die Frage, die immer wieder gestellt wird, lautet: Wie kann als Nebeneffekt das Umfeld bereichert werden? So wird etwa gesäubertes Wasser an einen See oder Bach abgegeben, es werden Nistplätze für Vögel, Schlupfwinkel für Fledermäuse oder Dächer als Blumenwiese für Bienen geschaffen. Michael Braungart fungiert als Berater des Limburger Projekts, das sich bemüht, seine Idee des Kreislaufs in Industrie- und Gebietsentwicklungen zu integrieren. „Die Frage, die wir uns immer wieder stellen müssen, ist: „Wie können wir für andere Lebewesen nützlich sein?“.