Ich lernte Mohamad kennen, als ich mich im Herbst 2015 zu einer Flüchtlingspatenschaft bei der Asylkoordination Österreich entschloss. Er erzählte mir von seiner Flucht aus Syrien, über Zwischenstationen in Ägypten und der Türkei und wie er auf einer Luftmatratze das Mittelmeer überquerte.
Als ich Mohamad zum ersten Mal traf, war er 23 Jahre alt und bereits als Asylberechtigter in Österreich anerkannt. Wir hatten uns im Zuge des Programms connecting wien kennen gelernt: Die Asylkoordination Österreich vermittelt Paten an junge Flüchtlinge, um diese während ihrer ersten Zeit in Österreich zu unterstützen. Im September 2015 waren Hunderte von Flüchtlingen in Österreich angekommen und mein Wunsch zu helfen war groß. Mohamad befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit einem Jahr in Österreich und sprach gebrochen Deutsch; nach einem kurzen Aufenthalt in Traiskirchen und einer Zwischenstation in einem Grazer Flüchtlingslager hatte er eine kleine Wohnung in Wien gefunden. Was mir von Anfang an auffiel: Mohamad war sehr bemüht, alles richtig zu machen, er war höflich und bei unseren Treffen überpünktlich. Zu Beginn erfuhr ich wegen seiner mangelnden Sprachkenntnisse nur wenige Details aus seiner Geschichte: dass er aus Syrien geflüchtet war, als er den Einberufungsbefehl zur Armee bekam („Ich wollte nicht auf meine Landsleute schießen“), dass seine Familie in mehreren Ländern verstreut lebt und nur die Mutter mit der ältesten Schwester in Damaskus geblieben ist. Mohamad wurde rasch ein guter Freund der Familie, er kommt regelmäßig zum Essen oder wir treffen uns im Café. Er stellte uns seine Freundin vor und wir waren bei den Beiden zuhause zu einem syrischen Abendessen eingeladen. „Ein syrisches Sprichwort sagt: ‚Je mehr du isst, desto größer ist die Liebe'“, erklärte er uns damals, bevor er uns selbst Gekochtes auftischte und wir es uns schmecken ließen.
„Die Heimat braucht dich“
Mohamad besuchte mehrere Deutschkurse des AMS und bewirbt sich regelmäßig für Jobs oder Ausbildungen, bisher ohne Erfolg. Immer wieder betont er, wie dankbar er den Österreichern sei, dass sie ihn aufgenommen hätten. Neulich, nun in deutlich besserem Deutsch, erzählte er mir die ganze Geschichte seiner Flucht: „Ich studierte in Damaskus, als Angehörige der Armee plötzlich vor meiner Tür standen und meinten „Die Heimat braucht dich“.“ Als Student hätte Mohamad eigentlich einen Aufschub für die Wehrpflicht bekommen müssen, aber daran hielt sich niemand. „Wenig später verließ ich Syrien und ging mit einigen Freunden in den Libanon, um Arbeit zu suchen, fand aber keine.“ Die nächste Station war Ägypten, wo ein Cousin ihm half, Arbeit zu finden.
Mohamad lebte acht Monate in Kairo und versuchte während dieser Zeit mehrmals, ein Visum für Saudi-Arabien zu bekommen, wo seine Schwester lebt. „Ich habe viel Geld für die Beamten ausgegeben, die für das Visum zuständig waren, aber jedesmal hieß es: leider nein.“ Mohamad beschloss, nicht in Kairo zu bleiben, da die Arbeit schlecht bezahlt war und er zu wenig zum Leben hatte. Er ging nach Istanbul zu einem Onkel (damals brauchten Syrer für die Türkei noch kein Visum, Anm.). „Ich arbeitete in einem Restaurant und in einer Taschenfabrik, bekam aber keine Aufenthaltsgenehmigung.“ Erneut beschloss er, sich mit seinen Freunden auf den Weg zu machen.
„Mit Luftmatratzen war es billiger als in einem Boot“
Zu diesem Zeitpunkt ist mir klar: diese Geschichte rückt das Bild, dass ein Großteil der Flüchtlinge ausschließlich nach Europa will, ein wenig zurecht. Mohamad erzählt weiter: „Wir wollten über das Meer nach Griechenland, aber dafür brauchten wir einen Schlepper. Wir hörten, dass es mit Luftmatratzen billiger sei als mit einem Boot und machten uns eines frühen Morgens auf den Weg.“ Der erste Versuch ging schief, die Freunde wurden von der Küstenwache aufgegriffen. Einige Zeit später dann der zweite Versuch: „Nach einer Stunde auf den Luftmatratzen erreichten wir die griechische Küste und gingen dort an Land.“
Mohamad befand sich außerhalb Österreichs nie in einem Flüchtlingslager, er versuchte, sich mit seinem Ersparten oder Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten. Auch in Griechenland bekam er nur eine Aufenthaltsgenehmigung für sechs Monate, also zog er weiter – zu Fuß – über Mazedonien nach Serbien und von dort weiter nach Wien. „Ich wollte nach Schweden oder Großbritannen, hatte aber kein Geld mehr.“ Mohamad blieb in Wien und hatte das Glück, nach relativ kurzer Zeit seine Aufenthaltspapiere zu bekommen. Flüchtlinge, die später nach Österreich kamen, haben es schwerer, wie Mohamad aus eigener Erfahrung weiß: „Ich habe vor einem Jahr in Graz Syrer kennen gelernt, die heute immer noch auf ihren Asylbescheid warten. Am Anfang wollten sie noch deutsch lernen, aber mittlerweile ist ihnen alles egal.“ Bei aller Dankbarkeit Österreich gegenüber ist Mohamad auch kritisch gegenüber Europas Asylpolitik: „Flüchtlinge geben viel zu viel Geld für Schlepper aus, weil es keine legale Einreisemöglichkeit gibt. Wenn sie das Geld stattdessen für ihre Lebenshaltungkosten verwenden könnten, bräuchten sie keine Unterstützung vom Staat.“
Ich merke es Mohamad an, dass er sich viele Gedanken macht, auch wenn er womöglich nicht über alles spricht. Bei jedem islamistischen Terrorattentat macht er sich Sorgen, die Ablehnung Moslems gegenüber könne weiter wachsen. „Nicht jeder Muslim ist automatisch gewaltbereit“, ist er überzeugt und ich glaube diesem sanftmütigen Mann aufs Wort. Wenn ich ihn nach seiner Mutter frage, die nach wie vor in Damaskus lebt und der er regelmäßig Geld schickt, sagt er: „Ich rufe sie jeden Tag an und sie sagt, alles ist gut.“ Seine Stimme klingt fest, doch der Blick verrät Unsicherheit und Sorge.
Update 13. September 2018: Mohamad hat mittlerweile Arbeit gefunden und wir sehen ihn nicht mehr so oft. Vor einiger Zeit erzählte er mir, dass er überlege, seinen Vornamen zu ändern, da es Menschen gäbe, die damit ein Problem hätten.