Lange Zeit bezog sich alles, was ich über Bosnien-Herzegowina wusste, auf den Krieg, der das Land und seine Menschen traumatisiert zurückließ. Als uns eine befreundete Familie in ihr Haus in Sarajevo einlud, lernte ich ein Land kennen, das viel mehr zu bieten hat: Gastfreundliche Menschen, malerische Orte – und immerhin einen 24 km langen Abschnitt der wunderschönen Adriaküste.

Die Kriegswunden sind nach wie vor zu erkennen – an den Einschusslöchern in zahllosen Häusern, an den nach wie vor vorhandenen Spannungen zwischen den Ethnien (Bosniaken, Serben und Kroaten) und nicht zuletzt an den politischen Problemen. Einst galt Bosnien-Herzegowina mit seiner multikulturellen Bevölkerung als das toleranteste Land Jugoslawiens. Durch den Krieg wurde jedoch die vielschichtige Gesellschaft zerstört, die Menschen finden nicht mehr zueinander. Die Eltern unserer Freundin müssen mit 120 Euro Pension im Monat auskommen, zum Glück leben ihre Kinder in Österreich und schicken regelmäßig Geld. Das Ehepaar hat im Bosnien-Krieg die vierjährige Belagerung Sarajevos überlebt: „Das Schlimmste war der Hunger“, ist eines der wenigen Details, das meine Gastgeber über diese Zeit preisgeben. Kaum des Deutschen mächtig, verständigen sie sich mit ausladenden Gesten, der grenzüberschreitenden Sprache der Herzlichkeit und mithilfe ihrer Tochter. Mit zahnlosem Lächeln bietet der Vater uns den typischen bosnischen Kaffee an, stark gebrüht, und die Mutter wird nachher aus dem Kaffeesatz lesen: „Es gibt viele Menschen, die dir wohlgesonnen sind.“

Von der geschichts- und kulturträchtigen Hauptstadt Sarajevo fahren wir zu den mysteriösen Pyramiden von Visoko, die von manchen Archäologen der Illyrer-Zeit zugeordnet werden. Der Weg führt weiter durch saftig-grünes Hügelland, vorbei an Ortschaften, die sich an Berghänge klammern. Wäre da nicht eine Moschee in jedem Ortszentrum, man könnte sich im steirischen Hügelland wähnen. Bevor wir die Küste erreichen, legen wir einen kurzen Halt in Mostar ein, deren Altstadt zu den Weltkulturerben der UNESCO zählt.

Im Krieg schwer umkämpft, präsentiert die Stadt sich seinen Besuchern heute von seiner schönsten Seite. Auf der berühmten Stari Most, der neu errichteten Brücke in der Altstadt, sammelt ein junger Mann mit entschlossenem Blick Geld für den Brückenspringer und schimpft dabei auf Bosnier, die im Ausland leben und kein Geld in der Heimat lassen. Es ist Tradition, dass junge Männer sich todesmutig von der 21 m hohen Brücke in den Fluss stürzen. Ich verliebe mich augenblicklich in diese Stadt und ihr wehmütiges Flair. Doch das Meer ruft: Der Endpunkt unserer Reise ist der nur 24 km breite Küstenabschnitt Bosniens mit seinem einzigen Küstenort Neum, dessen herber Charme einen Gegenpol zu den malerischen Städtchen des benachbarten Dalmatien bietet. Hotels, die aus den 70er Jahren zu stammen scheinen, reihen sich neben Touristenstände. Und auch hier durchlöcherte Ruinen, Übrigbleibsel aus einem Krieg, der aus den Köpfen der Bewohner nicht verschwinden mag. Der Blick von der Hotelterrasse auf die im Meer versinkende Sonne vertreibt allerdings jeden Gedanken daran.

Auf der Rückfahrt von Neum nach Sarajevo legen wir einen Halt bei den Kravica-Wasserfällen ein, die sich über 26 Meter in einen türkisfarbenen See ergießen. Ein weiterer Zwischenstopp bei der Buna-Quelle und dem dortigen Derwisch-Kloster rundet die Reise ab. Und immer wieder die Erinnerungen an den Krieg, zerstörte und nicht wieder aufgebaute Häuser oder Schilder, die vor Minen warnen. Unsere Freunde verabschieden uns mit den Worten: „Ugodno putovanjei dodjite nam ponovo“ – gute Reise und kommt gesund wieder!“